Lunedì lirico: Mary Oliver, A Thousand Mornings
Auf TikTok und Instagram erlebt sie derzeit ein kleines Revival – und völlig zu Recht, wie ich finde: Mary Oliver.
Die amerikanische Autorin und Pulitzer-Preisträgerin, die von 1935 bis 2019 gelebt hat, gehört in den Kreis der Top-Lyrikerinnen aus den USA. Ihre Gedichte erzählen von einer starken Naturverbundenheit, von großen Themen des Lebens wie Liebe, Trauer, Frieden und Spiritualität – und vor allem von einer starken Sehnsucht nach dem Leben selbst. Und innerhalb der LGBTQ+-Community feiern wir Mary Oliver als lesbische Lyrik-Ikone, die über 40 Jahre mit ihrer Partnerin, der Fotografin Molly Malone Cook, bis zu deren Tod 2005 zusammenlebte.
Zig Lyrik-Bände gibt es von Mary Oliver zu entdecken. Erst neulich habe ich auf Instagram zum Einstieg “A Thousand Mornings” empfohlen. Mit 82 Seiten in A5 ist es ein schmales Büchlein, das als Erste-Hilfe-Lektüre für schwere Tage nicht nur daheim, sondern auch unterwegs bestens als Trostpflaster, Quelle der Hoffnung und Lichtblick in Wortform dienen kann.
36 Gedichte warten in dem Band darauf, in sie einzutauchen. Manche knapp, manche viele Zeilen füllend. In glasklarer, schnörkelloser Sprache malt Mary Oliver mit Worten poetische Bilder und Szenerien, die von einer feinen Beobachtungsgabe und der Würdigung der kleinen Dinge und leisen Momente des Lebens zeugen. Das liest sich dann im ersten Gedicht des Bands so:
I GO DOWN TO THE SHORE
I go down to the shore in the morning
and depending on the hour the waves
are rolling in or moving out,
and I say, oh, I am miserable,
what shall-
what should I do? And the sea says
in its lovely voice:
Excuse me, I have work to do.
Häufig muten die Gedichte wie Tagebucheinträge an, mal stellen sie direkte Fragen an die Leser:innen, immer wieder begegnen uns das Meer, die Berge, Tiere, Pflanzen und Alltagssituationen. Mal lakonisch, mal heiter, aber immer mit Fragen oder Impulsen zum Weiterdenken.
Apropos weiter: Anknüpfen lässt sich an “A Thousand Mornings” bestens mit “Devotions”, das genauso literarisch beglückende Fundstücke bereithält. In diesem Best-of findet sich dann auch das wahrscheinlich bekannteste Oliver-Gedicht ”The Summer Day” mit der berühmten und oft zitierten Zeile:
Tell me, what is it you plan to do with your one wild and precious life?
Sag mir, was hast du vor mit deinem wilden, kostbaren Leben? Diese Frage hat kürzlich auch ihren Weg auf eine attraktive Hardcover-Ausgabe gefunden, die im Diogenes-Verlag erschienen ist. In edlem Leineneinband präsentiert sich die Best of-Sammlung der Oliver-Gedichte in der deutschen Übersetzung von Jürgen Brôcan. Das Buch ist ein Augenschmaus und Handschmeichler, der gern auch noch seinen Platz in meinem Bücherregal finden darf.
Wenn ihr Lyrik gern vorgelesen bekommt, dann lasst das doch die Autorin selbst übernehmen und klickt auf Youtube rein.
Mary Olivers Lyrik ist bisweilen wie eine kaschmirweiche Kuscheldecke für die Seele. Meine lyrische Montags-Empfehlung für trübe Februartage, an denen sich das Grau draußen mit wintergetrübten Gedanken vermischt.